Leipzig, Tempi Passati – Anomie Tour
Zeit
(Freitag) 20:00 - 21:30
Details der Veranstaltung
10 Jahre Tempi Passati. Die Zeit verging wie im Flug und sind Geschichte. Mit vier zauberhaften Alben hat der Leipziger
Details der Veranstaltung
10
Jahre Tempi Passati. Die Zeit verging wie im Flug und sind Geschichte.
Mit vier zauberhaften Alben hat der Leipziger Vierer mit Steuermann Raik
Hessel immer wieder für eindrucksvolle Wegmarken gesorgt, die beiden
jüngsten waren für den Preis der deutschen Schallplattenkritik
nominiert.
Nun steht Opus Nō. 5 an. Zunächst fällt das Cover auf:
Bisher gab es eine durchgehende Gestaltung mit einem an die Leipziger
Schule erinnerndem Bild im Zentrum. „Anomie“ hat eine ebenfalls sehr
ansprechende, jedoch grafisch komplett andere Lösung (Coverbild Rainer
Justen), das bisherige Corporate Design ist offenbar auch passé.
Wenigstens
wird den ersten Klängen schnell und beruhigend hörbar, dass sie ihre
musikalischen Vorstellungen nicht umgekrempelt haben. Weltoffene,
stilistische Vielfalt prägt nach wie vor ihren Klang. Von Raik Hessel
stammen die Musik, die Texte und neben den Gitarren noch eine Anzahl
weiterer Instrumente. Die Bandmitglieder, alle Meister ihres Faches, und
darüber hinaus eine Schar illustrer Gäste steuern viele eigene
Inspirationen bei. Wie üblich ist das Ganze ein furchtlos-furioser
Parforceritt durch Zeiten und Regionen; es geht munter von Chanson bis
Blue Grass, von Folk bis Rock´n Roll.
Des Meisters Gitarre steht
natürlich im Zentrum. Soundtragend auf diesem Album sind ebenso die
Keyboards, die klingen wie damals, als die Dinger noch „Elektro-Orgel“
hießen. Schön, dass wir auch auf die gewohnte Mariachi-Trompete nicht
verzichten müssen. („Wer hat, der kann“)
In Fortsetzung schöner
Tempi-Traditionen werden immer wieder Instrumentals zwischen die
Gesangsstücke gestreut: Gelegenheit zu handwerklichen Kabinettstückchen.
Das reicht vom romantischen Gitarrentango („Tatjana“) über klassische
Americana („solo un poco“) bis zum „Rasenden Roland“, der hier flott
durch die weite Prärie dampft: Diatonisches Akkordeon trifft
Steelguitar, Polka geht auch als Line Dance. Eine andere Nummer heißt
einfach nur „Drum & Git“ – wir wollen mal nicht spoilern, wer sich
hier ein spannendes Duell liefert…
Zentral für das Gesamterlebnis
Tempi Passati sind Hessels unaufgeregter Gesang und die dazugehörigen
Texte. Er erzählt seine Geschichten ohne sprachliches Gepose, aber mit
feiner Beobachtung in schönen Metaphern: Klug, aber nicht belehrend,
engagiert, aber nie ideologisch. Unüberhörbarem ist sein Hang zur
(Selbst)Ironie, aber er läuft nie in Gefahr, in Zynismus abzudriften.
Den
Zeitgenossen (gern auch speziell der Zeitgenossin) wird zielgenau
hinter die Maske geschaut: „Wenn jeder sich der Nächste ist, bin das in
meinem Fall ganz klar ich“ („Erste Person Singular“).
An Ende wird´s
dann doch bedrückend: „Generation Degeneration“ beginnt mit der
Lässigkeit von Johnny Cash, doch landet inhaltlich schnell beim Kern.
Diese Gattung behandelt den Planeten, auf dem sie lebt, wie einen
Ballon, den man beliebig immer weiter aufblasen kann. Wir haben ein
gewaltiges Problem, konstatiert Hessel: Und das sind wir selbst.
Spätestens
hier fällt der Albumtitel wieder ein, dessen Einordung bei den meisten
Interessierten wohl den Link zum Wiki erfordert: „Anomie“ bezeichnet in
der Soziologie einen Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen,
Regeln und Ordnung.
Bedarf es noch mehr Erklärung?
Gottlob
entlässt uns Hessel nicht schreckstarr mit einer dystopischen Vision
aus diesem Album, obwohl der Titel des abschließenden Stücks dies
zunächst befürchten lässt.
Es heißt „La Fine“. „Das Ende“ also. Doch
Hessel denkt einmal mehr augenzwinkernd um die Ecke und erörtert
lediglich in lockerem Ton den Fakt, dass dies eben der letzte Song der
Platte sei, woraus – in diesem Fall zwar höchst bedauerlich, doch
nichtsdestoweniger zwingend – folge, dass danach keiner mehr kommen
würde: Der Letzte macht den Player aus.
Doch nein, hören wir uns
diese schöne Scheibe einfach noch einmal an. Mindestens! Dieses ungemein
witzige, kluge, facettenreiche und hochmusikantische Album hat es
unbedingt verdient.
Tempi
Passati sind: Raik Hessel (Gesang, Gitarren), Peter Krutsch (Drums,
Percussion), Christian Schierwagen (Bass), Johannes Uhlmann (Akkordeon,
Synthesizer, Orgel)
Alben:
“Weit draußen” (2011), “Ein Sommer geht langsam vorüber” (2013), “14
Manöwer des letzten Augenblicks” (2015), “Teuflischer Plan” (2018),
„Anomie“ (2022)
Beteiligte Gruppen und Personen
Raik Hessel, Peter Krutsch, Christian Schierwagen, Johannes Uhlmann, Christian Hofmann